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Kuratorin 2023:
Lynhan Balatbat-Helbock
on damp earths we wander –
a journey of ten stories in the sonic garden of Kerima Tariman¹
Audiovisuelles Begegnungsprojekt für den Lantz’schen Park Düsseldorf
How time holds me under
a shadow I cannot name, the bush-music and its sweet
bangarang. Do not wake me. Downtown
I’ll roam wild with the improbable goats,
window-cleaners careening through traffic,
ripe urchin bartering his endless hope:
Each day is usable, I want to tell them.
Our hunger is criminal, faces sewn shut.
We are tongue-tied with the songs
of unknown birds, an extinct diction. Fireburn
that shipwreck, its aimless curse. Jah, guide
these words, this life an invisible column, my one
bloodline stretching, red livewire vein, to appear across
these hijacked decades, inventing Paradise.
aus DREAMING IN FORGEIGN von Safiya Sinclair
Man sagt, dass auf kleinen Bänken in Parks, auf öffentlichen Plätzen oder in U-Bahn-Stationen bei den Menschen, die Tag und Nacht arbeiten, eine flüchtige Ruhe zu finden ist.
Der Garten, die willkommene Oase als Zufluchtsort für Ruhe, Erholung und Besinnlichkeit, ist im Idealfall für alle Menschen in den Städten zugänglich. Hundebesitzer, Eltern mit ihren frei herumlaufenden Kindern, essende Arbeiter, Verliebte, Körper, die einen Austausch in privaterer Umgebung suchen, und einsame ältere Menschen, sie alle trachten nach bewahrter Natur, der Auszeit zwischen den Gärten und dem städtischen Alltag.
Auch hier sollte der Garten weder auf den Ort des Ankommens beschränkt werden, der aus der Bank besteht, auf der wir schließlich unsere Ruhe finden, noch auf den Rasen oder die geschnittenen Büsche und die Bäume, die wir betrachten. Der Weg durch die Stadt, die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, gefolgt vom Klang der Fußsohlen auf dem Gehweg, dem Kopfsteinpflaster und schließlich den Kieselsteinen, ist Teil des Spaziergangs im Park.
Das Skelett ist jedoch nicht so friedlich, wie es das Fleisch ist. In vielen Schichten unter der Erde und unter dem saftigen Gras sind die Überreste der gewaltsamen Kapitel unserer Geschichte noch lange nicht verschwunden. Kolonialität wurde und wird nicht nur den Menschen aufgezwungen, sondern auch dem Nicht-Menschlichen, den Pflanzen und dem mikrobiellen Leben, und in der Bildung der Binaritäten von „Natur“ und „Kultur“². Selbst in den Boden graviert sie sich ein, in Form von zersetzten Spuren ihrer Vergangenheit und fortwährenden Brutalität, durch Körper und Knochen, zurückgelassen und erhalten, andere, entfernt und repatriiert. Die botanischen Formationen und veränderten Pflanzen entstanden parallel zum Aufbau der Plantagenwirtschaft, die durch den transatlantischen Sklavenhandel und die lange Geschichte der Migration ermöglicht wurde. Die Historikerin Londa Schiebinger deutet darauf hin, dass botanische Gärten als „Versuchslabors für die Landwirtschaft und als Zwischenstationen für die Akklimatisierung von Pflanzen für den Binnen- und Welthandel“³ eingerichtet wurden; sie wurden zu institutionellen Prüfstandorten der „Verbesserung“. Schließlich zieht sich ein grüner Faden durch die Praxis der imperialen Mächte, Menschen in ausgedehnten Gebieten zu enteignen, über die schreckliche Herrschaft während des Zweiten Weltkriegs bis hin zu übermenschlichem pflanzlichen Leben und dessen Umwandlung in gegenwärtige Formen der landwirtschaftlichen Biotechnologie.
Die historischen Komponenten der Entstehung des Parks, die in den dunklen Kapiteln der menschlichen Zeit(en) angesiedelt sind, bilden einen Teil der kritischen Auseinandersetzung. Das Open-Air-Ausstellungs- und Hörprojekt On damp earths we wander; – A journey of ten stories in the sonic garden of Kerima Tariman wird thematisch jedoch nicht auf dieses Thema reduziert.
Die Komposition der zehn Geschichten richtet die Verteilung der Kunstwerke, die im und um den Park herum angeordnet sind, aus. Jedes Kapitel steht unter der Symbolik einer Pflanze, eines Tieres oder einer räumlichen Struktur.
cuento I: el roble (die Eiche)
cuento II: la capilla funeraria (die Grabkapelle)
cuento III: puerta de entrada al cielo (Tor zum Himmel)
cuento IV: laminaria (die Braunalgen)
cuento V: la ardilla (der Schmetterling)
cuento: VI: canta de los pajaros (Vogelgesang)
cuento: VII: el abedul (die Birke)
cuento VIII: la hembra (die Kuh)
cuento IX: mycelium (der Pilz)
cuento X: el pulpo (der Oktopus)
Die erste Erzählung, die Eiche, wird einen Raum der Begegnung und des Austauschs bieten, der sowohl für intime Gespräche als auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden kann. Die Grabkapelle wird Werke zeigen, die zur näheren Betrachtung einladen, und sich mit Themen wie Vertreibung und marginalisierten Gemeinschaften auseinandersetzen. Kapitel drei und vier befassen sich mit der Praxis des Ausruhens sowie mit der Geschichte der Ankunft und den damit verbundenen Archivierungsformaten. Im Zeichen des Schmetterlings werden Formen der Interaktion und Partizipation realisiert. In kleineren Gruppen wollen wir Zeit schaffen, um gehört zu werden, um gesehen zu werden. Spaziergänge sollen Raum für Gespräche und Austausch öffnen. Die sechste Geschichte, der Vogelgesang, ist akustischen Archivarbeiten gewidmet, die sich aus Kriegsüberlebenden und Zeugnissen des Zweiten Weltkriegs ergeben. Der Akt des Zuhörens wird in einer akustischen Verteilungskarte im und um den Park im Vordergrund stehen. Die Birke konzentriert sich auf räumliche und architektonische Formen der Darstellung. Die Arbeiten in diesem Kapitel werden einen architektonischen Schwerpunkt haben und sich auf die Darstellung des „Anderen“ beziehen. Das achte Kapitel, die Kuh, lädt die Besucher*innen ein, Ayò zu spielen und dabei die Bereiche Spiel, Introspektion und Kontemplation zu verbinden. Das neunte Kapitel regt die Betrachter*innen an, sich auf das Zusammenspiel von Fantasie, Wissen und der suggestiven Kraft der skulpturalen Installation einzulassen.
Die letzten beiden Kapitel sind als vielgliedriges Netzwerksystem gedacht. Der Oktopus als faszinierendes Gebilde oder Pilzmyzel unter der Erde. In Zusammenarbeit mit Monai de Paula Antunes & Niko de Paula Lefort entwickeln wir ein standortspezifisches Format von Radio Gardening. Dieses interaktive Klangprojekt ist ein radiophones Ökosystem, das heterogene Inhalte, Formate und Traditionen des Radiomachens mit der eigenen materiellen Komplexität des Radios vermischt. Die Installation erfolgt in der räumlichen Struktur der nach außen gerichteten Bäume und Sträucher, sozusagen im „Schaufenster“ des Parks, und bietet so der Öffentlichkeit via Rundfunk und Internet Zugang zu einer Radioumgebung mit verschiedenen Ebenen der Interaktivität.
Epilog: „Das Paradies“ nach Kerima Tariman
Das Projekt on damp earths we wander – A journey of ten stories in the sonic garden of Kerima Tariman wird von einer Reihe von öffentlichen Programmen begleitet und schließt mit einer Publikation, die bis Ende diesen Jahres erscheinen wird. Die zehn Kapitel setzen sich aus verschiedenen kollektiven Klangspaziergängen, Lesesitzungen und offenen, forschungsbezogenen Formaten zusammen.Während der öffentlichen Programmreihe können die Teilnehmer*innen an fortlaufenden Netzwerkkonstellationen teilnehmen, die im Laufe des gesamten Projektzeitraums zur Verfügung stehen, auch online angeboten werden und so kontinuierlich weiterentwickelt werden können. Die oben genannten Kapitel und die dazugehörigen Kunstwerke werden in Form von Piktogrammen dargestellt. Design ist von Bedeutung. Es setzt einen Standard, beschreibt Umgebungen, definiert unsere Interaktionen und unser Sein in der Welt. Wir formen und werden geformt durch die Äußerungen von Lebensphilosophien, die sich in unseren Räumen, Objekten und kommunikativen Codes zeigen. Aus diesem Grund spielen die Verwendung von Sprache und Kommunikationsformen eine wichtige Rolle im gesamten Projekt.
Wir laden Wissenschaftler*innen und andere ein, über die Traditionen und Praktiken der Verbreitung von Klängen, über Formen der Heilung in der Freizeit und über gemeinschaftliches Engagement nachzudenken. Auch Künstler*innen und andere Personen sind eingeladen, ihre künstlerischen Arbeiten zum Thema auszustellen und aufzuführen. Diese wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten werden durch eine Reihe von öffentlichen Lesungen und mehrere geführte Klangspaziergänge eingeleitet. In enger Zusammenarbeit mit gemeinschaftsbasierten und selbstorganisierten Praktiken der Klangarchivierung werden die Besucher*innen nicht nur eingeladen, in die umfangreiche Produktion hineinzuhören, sondern auch dazu angeregt, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Durch Open-Access-Medien und Online-Plattformen soll das Projekt on damp earths e wander – A journey of ten stories in the sonic garden of Kerima Tariman nicht nur ein Ort des kollektiven Zuhörens und Staunens sein, sondern durch partizipatives Engagement der Körper auch Prozesse wie zuhören, verweilen, in gemeinsame Räume eindringen und schließlich eine eigene Art von Paradies erschaffen und erfinden, aktivieren.
1 Kerima Lorena Tariman (1979-2021), poet, academic and activist. † 20th of August in Negros Occidental.
2 Elena Agudio & Marleen Boschen — Soil is an Inscribed Body. On Sovereignty and Agropoetics. – Curatorial Note, in Agropoe-tics Reader (2019)
3 Londa Schiebinger, Plants and Empire (Cambridge: Harvard University Press, 2009): 11.
Konzept:
Lynhan Balatbat-Helbock
Kuratorisches Team, Konzeption und Produktionsteam:
Lynhan Balatbat-Helbock, Lia Milanesio, Bilge Emir
Produktion u. art handling:
Ola Zielińska, Rafał Łazar
Künstler*innen
Theresah Ankomah, Monai de Paula Antunes & Niko de Paula Lefort, Anne Duk Hee Jordan, Phil Collins, Antoinette Yetunde Bintu Oni, Al Hassan Issah, Refuge Worldwide, Pedro Oliveira, Farkhondeh Shahroudi, Barthélémy Toguo
Öffnungszeiten
Die Ausstellung im Lantz’schen Park ist rund um die Uhr geöffnet. Die Arbeiten in der Kapelle sind Donnerstag bis Sonntag jeweils von 14.00 – 18.00 zugänglich.
Der Eintritt ist frei.
Booklet
Den Link zum online-booklet mit den Beschreibungen der einzelnen Werke finden Sie hier.
Augmeted-Reality-Tour
Zu einer virtuelle Tour durch den Park und die Ausstellung geht es hier.